Mittwoch, 29. Oktober 2014

Kräutler zu Brasilien-Wahl: Politik der Straßenwalze geht weiter


Am 28. Oktober 2014 sprach Dom Erwin Kräutler in der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien AG über das Thema »Leben mit den Armen - Kampf für Gerechtigkeit.«
Link zum Vortrag als Audio-mp3

Kommentare:

Kathpress, 29.10.2014
Kräutler zu Brasilien-Wahl:
Politik der Straßenwalze geht weiter
Bischof der Amazonasregion bei Vortrag im Wiener Raiffeisen-Haus: Neue-alte Präsidentin Rousseff bei Umwelt- und Indio-Fragen stur - Von der Fußball-WM ist bis auf leere Stadien nichts geblieben - Familiensynode ist Fingerzeig in die richtige Richtung

Wien, 29.10.2014 (KAP) Auch nach der jüngsten Präsidentenwahl werde es in Brasilien weiterhin ein "ungerechtes System" geben, in dem die Ärmsten in der Bevölkerung keinerlei Rechte und Stimme hätten. Das konstatierte der austro-brasilianische Bischof Erwin Kräutler bei einem Vortrag am Dienstagabend im Wiener Raiffeisen-Haus. Der nur knappe Sieg der schon bisherigen Präsidentin Dilma Rousseff verdeutliche aber, dass die Menschen mit der Politik insgesamt unzufrieden seien. Auch der Umstand, dass ein Viertel aller Wahlberechtigen trotz genereller Wahlpflicht gar nicht zur Urne gegangen sei, wertete der Bischof als Zeichen der allgemeinen Politikverdrossenheit im Land.

Leider würde Rousseff ihre "Politik der Straßenwalze" nun weitere vier Jahr fortführen können, so Kräutler. Besonders bei Problemen hinsichtlich der indigenen Bevölkerung oder beim Umweltschutz habe die Präsidentin bisher immer auf stur geschaltet und keinerlei Dialog zugelassen. Dies werde sich wohl auch in Zukunft nicht ändern.

Durch den Bau der vielen Kraftwerke im Amazonasgebiet auf dem Gebiet der Indios habe man Tausende Menschen umgesiedelt und sie so komplett aus ihren Lebensverhältnissen gerissen. Die Umweltzerstörung in Amazonien sei enorm und habe gravierende Auswirkungen auf das Weltklima, warnte Kräutler: "Die Umweltzerstörung macht nicht an der brasilianischen Staatsgrenze Halt."

Der Schutz der indigenen Bevölkerung sei zwar in der Verfassung verankert, in der Realität würden die Indios aber weiterhin enteignet, zwangsumgesiedelt und kulturell beschnitten, beklagte der Bischof von Xingu. Wenn man damit aufhöre, sich für die Rechte der Indigenen einzusetzen, seien diese in wenigen Jahrzehnten mit Sicherheit komplett verschwunden, warnte Kräutler.

WM war "wahnsinnige Geldverschwendung"
Eine "wahnsinnige Geldverschwendung" sei die Fußball-WM im vergangenen Sommer gewesen, sagte Kräutler weiter. Bis auf die leeren und überdimensionierten Stadien sei nichts übrig geblieben. An der Situation der Menschen habe sich nichts geändert, und vom versprochenen wirtschaftlichen Aufschwung sei nichts zu sehen.

Wenn man sehe, wie viele Kinder im Land weiterhin an Unterernährung litten oder dass Millionen Menschen weder lesen noch schreiben könnten, wirke der Aufwand, der betrieben wurde, "unmoralisch und geradezu grotesk". Mit den Olympischen Spielen 2016 stehe aber bereits der nächste Großevent an. Die Politik habe deswegen die Weltmeisterschaft schon längst ad acta gelegt.

Synode: Einige Aussagen waren ärgerlich
Die kürzlich zu Ende gegangene Familiensynode in Rom wertet Kräutler generell als ein gutes Zeichen. Dass eine Mehrheit der Teilnehmer bei der Frage der wiederverheirateten Geschiedenen sich für Änderungen ausgesprochen habe, sei ein Fingerzeig in die richtige Richtung. Der Kommunionempfang dürfe nicht "als Belohnung, sozusagen als Prämie für die Guten, die Gerechten und Gesetzestreuen" angesehen werden. Kräutler: "Wer braucht denn mehr die Kraft aus der Eucharistie als Menschen, von deren Ehe nur ein Scherbenhaufen übrig geblieben ist?"

Verärgert zeigte sich der Bischof in Bezug auf die Aussagen einiger Synodenteilnehmer, das Zerbrechen der Familie sei eine rein westeuropäische Thematik. Die Wandlung des traditionellen Familienbildes sei überall auf der Welt zu erkennen, auch in Südamerika.

Beeindruckt zeigte sich Kräutler vom Auftreten und Wirken Papst Franziskus'. Der Papst habe ihn bei einer kürzlichen Privataudienz bestärkt, sein Engagement für die Armen fortzusetzen.

Der Vortrag von Bischof Kräutler fand im Wiener Raiffeisen-Haus statt. Erwin Hameseder, Obmann der Raiffeisen-Holding Wien-NÖ, würdigte Kräutler als außergewöhnlichen Menschen, der nie den bequemen Weg gegangen ist". Sein Einsatz für die Menschen in Amazonien sei von besonderem Mut gekennzeichnet. Jede Gesellschaft leben letztlich davon, dass sich Menschen mutig für ihre Überzeugungen einsetzen, so Hameseder. Das gelte für Brasilien wie auch für Österreich.


Wiener Zeitung, 29.10.2014
Erwin Kräutler: Mutig, geradlinig, authentisch
Bischof Erwin Kräutler faszinierte im Wiener Raiffeisenhaus mit biblisch fundierten Aussagen über Armut, Klimaschutz und Kirchenreform.

"Wir waren arm, hatten aber immer etwas zum Essen." Mit Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend in Vorarlberg leitet Bischof Erwin Kräutler seinen Vortrag zum Thema "Leben mit den Armen - Kampf für Gerechtigkeit" ein. "Richtig habe ich die Armut erst in Südamerika kennengelernt", erzählt er seinen Zuhörern im vollen Saal des Wiener Raiffeisenhauses am Donaukanal. Dom Erwin, wie er in seiner Diözese am brasilianischen Xingu genannt wird, spricht an diesem Dienstagabend ohne Manuskript über sein Leben, über seinen Einsatz für die Ausgebeuteten und Unterdrückten, über seine Träume von einer erneuerten Kirche. Vieles davon kann man in seinem Buch "Mein Leben für Amazonien" (Tyrolia Verlag) nachlesen, das er nach dem Vortrag zu Dutzenden signiert. Manches von dem, was er sonst sagte, steht auch schon in einem Interview, das er kürzlich der "Wiener Zeitung" gab.

Schon Erwins Onkel, dessen lange Briefe in der Familie herumgereicht wurden, war Priester und dann Bischof am Xingu. Als er selbst als junger Priester dorthin kommt, empfindet er die Gegensätze, die er dort vorfindet und das biblische Gleichnis vom reichen Prasser und vom armen Lazarus wachrufen, als Schock: einerseits bitterste Armut, anderseits ein höherer Militär, der in Saus und Braus lebt. "Ich habe mich nie damit abgefunden", sagt Dom Erwin. Und: "Armut fällt nicht vom Himmel. Armut ist kein Schicksal, Armut wird gemacht."

Bischof Kräutler schildert den Weg der katholischen Kirche in Südamerika zur "Option für die Armen", beginnend mit der kontinentalen Bischofssynode von Medellin nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, den Aufbau von Basisgemeinden. "Das ist kein verkappter Marxismus", betont er, "die Befreiungstheologie ist ganz biblisch!" Ihr Ausgangspunkt sei das dritte Kapitel im alttestamentarischen Buch Exodus: "Ich habe das Elend meines Volkes gesehen..." Dazu komme natürlich das Neue Testament, vor allem mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter.

"Ich habe nie provoziert", betont Dom Erwin. Zur Symbolfigur für das Ringen der Armen und der Indigenen in Brasilien ist er geworden, weil er schlicht und einfach auf der Basis des Evangeliums für deren Rechte eintrat. Als Menschen, denen man monatelang ihren gerechten Lohn vorenthalten hat, die wichtige Durchgangsstraße Transamazonica blockieren und er sich mit ihnen solidarisiert, wird er brutal misshandelt. Er staune manchmal selbst, meint er schmunzelnd, wie dieses Ereignis von 1983 später immer mehr ausgeschmückt wurde. Tatsache ist: Nach Anschlägen auf ihn und der Ermordung von Mitarbeitern lebt er seit Jahren unter Polizeischutz.

Die gegenwärtige Politik Brasiliens, die den Ausbau von Kraftwerken am Xingu und Amazonas plant, kritisiert er heftig: "Damit ist Amazonien am Ende." Mit der Präsidentin Dilma Rousseff gebe es keinen Dialog. Dass sie nur knapp wiedergewählt wurde und trotz Wahlpflicht ein Viertel der Brasilianer den Wahlurnen fernblieb, wertet er als "ein Zeichen, das gesetzt worden ist".

Mutig, geradlinig, authentisch - und humorvoll, diese Eigenschaften stechen an Erwin Kräutler hervor. Er ist glaubwürdig empört, wenn er anprangert, wie arme Menschen ausgebeutet werden, den Indigenen ihr verfassungsmäßiger Schutz entzogen werden soll, die weit über Brasilien hinaus wesentliche klimaregulierende Funktion des Regenwaldes zerstört wird. Er leidet sichtlich am kirchlichen "Legalismus", denn das Gesetz Christi bestehe doch aus Liebe und Gnade.

Was Brasilien betrifft, so sei die Fußball-WM abgehakt, für die damit verbundene Verschwendung, die sich bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro fortzusetzen droht, hat Dom Erwin angesichts der sozialen Not im Land kein Verständnis. "Der Mensch ist nicht für die Wirtschaft da, es ist umgekehrt", stellt er eindeutig fest.

Die Brasilianische Bischofskonferenz sei immer hinter ihm gestanden, versichert Kräutler. Auch der frühere Papst Johannes Paul II., obwohl dieser immer wieder Befreiungstheologen maßregeln ließ, habe ihm den Rücken gestärkt. Spannendes weiß er von seiner zwanzigminütigen Begegnung im April 2014 mit Papst Franziskus, mit dem er offensichtlich auf einer Linie ist, zu berichten. Das sei eines seiner schönsten Erlebnisse als Bischof gewesen: "Er hat mich gefragt, was ich über dieses und jenes denke, das ist mir noch nie passiert."

Als er von Kardinal Peter Turkson aus Ghana erfahren hat, dass eine Umwelt-Enzyklika geplant ist, hat Dom Erwin darauf gedrungen, dass Amazonien darin vorkommt, und ist prompt zur Mitarbeit eingeladen worden. Seinen Beitrag zu dieser nun unmittelbar bevorstehenden Umwelt-Enzyklika hat er gerade per E-Mail in Rom abgeliefert, berichtet er dem Publikum im Raiffeisenhaus.

Die jüngste Bischofssynode mit dem vorhergehenden einmaligen Vorgang einer weltweiten Befragung sieht Kräutler positiv. Zwar sei die Zwei-Drittel-Mehrheit für einen Kommunionempfang von wiederverheirateten Geschiedenen verfehlt worden, aber schon die einfache Mehrheit bedeute einen Fortschritt. Dieses Problem sei weltweit groß und keineswegs auf Europa beschränkt. Er könne sich nicht vorstellen, jemanden von der Kommunion wegzuschicken, der jahrelang treu in einer neuen Beziehung lebe und Woche für Woche zum Gottesdienst komme.

90 Prozent der Gemeinden in Kräutlers Diözese sind priesterlos, haben folglich keine regelmäßigen Eucharistiefeiern. 70 Prozent aller Gemeinden erleben nur drei- oder viermal im Jahr eine katholische Messfeier. Papst Franziskus sei diese Problematik sehr bewusst. Der Papst, so Kräutler, sympathisiere mit Ideen des deutschen Bischofs Fritz Lobinger, der in Südafrika wirkte. Dessen Gedanken laufen darauf hinaus, dass jede Gemeinde drei "Älteste" wählt - Männer, aber auch Frauen -, die kirchlich beauftragt werden, am Sonntag der Messfeier vorzustehen, unter der Woche aber gewöhnlichen Berufen nachgehen. "Theologisch gibt es dagegen keine Einwände, das ist ein Frage des Kirchenrechts", sagt Kräutler. Der Zölibat sei durchaus sinnvoll, betont Dom Erwin, "aber um der Eucharistie willen soll es auch einen anderen Priestertyp geben. Das wird so kommen, und es wird nicht mehr lange dauern. Davon bin ich überzeugt."

Dieser Blog analysiert und kommentiert Erwin Kräutlers Vortrag nicht im Detail, sondern will nur einige seiner wichtigsten Inhalte wiedergeben und dick unterstreichen. "Eine andere Welt ist möglich", lautet die Kernaussage des Bischofs, jeder sei eingeladen, dort, wo er steht, daran mitzuarbeiten. Dem ist gar nichts mehr hinzuzufügen.





Aktuelles Interview in:

DerSonntag, 5.11.2014
Bischof Kräutler: "Die Armut fällt nicht vom Himmel"
Seit beinahe fünf Jahrzehnten setzt sich Erwin Kräutler für die Menschen in Amazonien, insbesondere für die indigene
Bevölkerung, ein. Als Bischof von Xingu hat er die Entwicklung der Kirche in Lateinamerika entscheidend mitgestaltet.